Finde das Thema total überzogen.
Es zeigt aber leider eines ganz deutlich:
Unserer ganzen (in diesem Falle ganzen europäischen) Gesellschaft ist einfach zuviel Kultur abhanden gekommen.
In den Schulen (auch den Oberschulen) wird zuviel Mist gelehrt oder das wenige sinnvolle kommt nicht mehr in den Hirnen richtig an. Was zum Geier macht man eigentlich heutzutage im Musikunterricht? Gibt es da noch fähige Lehrer, die sich an das Thema Opern und Operetten trauen? Eher höchstens noch Musicals...
Ich bin 30, war sowohl auf der Realschule als auch auf dem Gymnasium und hatte schon sehr früh Kontakt mit klassischer Musik (Nein, ich bin nicht ständig in der Musikschule gewesen) in der Schule. Wir hatten einen fähigen Lehrer, der es geschafft hatte die Klasse nicht gleich mit Wagner zu erschrecken sondern sehr interessiert an das Thema heranzuführen, quasi mit der Zeit ein "Gehör" bei den Schülern zu entwickeln.
Leider war der Mann eine Ausnahmeerscheinung und alles was danach kam, zeigte sich eher trostlos und wenig mitreissend....daher kann ich mir nur schwer vorstelle, wie es wohl heute aussieht.
Gut, ich rede hier nicht mit Schulkindern ;-), aber die Reaktionen allgemein auf Youtube und die Werbespotidee von T-Com (ein halbes Jahr später), zeigt auch deutlich wie man die Masse im Griff hat.
Da wird geseufzt und geschnieft und applaudiert, vorher gestaunt und fasziniert zugehört.
Lustigerweise wird diese "Ausnahme" unter dem ganzen Superstar-Mist auch als solche erkannt: als besondere Musik. Als eine angenehme überraschende Ausnahmeerscheinung. Es kommt, schaut man in die Gesichter der Jury, grade so rüber (und ich halte übrigens jede dieser Sendungen für 100%ig "produziert") als sei der heilige Messias vom Himmel herab gestiegen und hätte mit einer engelsgleichen Stimme zu uns gesprochen.
Oh weia!
Geht mal ins nächste Musikgeschäft und dort in die Klassikabteilung und holt euch dort von der Resterampe irgendwelche Best-of Opern-Kollektionen.
Und, oh Wunder, die können ja alle genauso toll singen! Irgendwie haben wir das vorher gar nicht bemerkt!
Klar, unter den Blinden ist der Einäugige König oder will sagen: unter den stimmenlosen ist der Tenor ein Gott.
Irgendwie ja faszinierend. Als wenn es auf der ganzen Welt keinen vorher gegeben hätte und diese Gabe dem Mann quasi in der Badewanne zugeflogen kam.
Glaubt mir, ich verstehe schon die Emotion und die Reaktionen die solch ein Video auslösen kann. Es ist ein Zeichen der Zeit und übrigens garantiert erst der Anfang einer ganz neuen Generation von audiovisuellen Kettenreaktionen, die sowohl die TV-Sender als auch die Werbeindustrie noch gehörig durcheinander wirbeln wird.
Trotzdem, um wieder auf den Spot zurück zu kommen, es ist nur eine von vielen Stimmen die von der Masse (endlich mal...das ist das Positive daran) wahrgenommen wurde.
Ich gönne dem Mann trotzdem den Erfolg, weniger den bei Britains got Talent, als eher für seine zukünftige Arbeit, also dorthin zurück wo er eigentlich hin wollte: Opern singen.
Andererseits würde ich das gerne jedem Tenor gönnen, der es bisher nicht geschafft hatte medial so massenwirksam zu werden wie zb. Pavarotti.
Diese Kategorie von Tenören muss sich auch meist damit begnügen immer wieder die gleichen massentauglichen Stücke zum Besten zu geben. Leider, aber so läuft das Geschäft mit den ungeschulten Ohren eben... ;-)
Übrigens, und weil mein Beitrag grade eh länger geworden ist, eine Info für alle, die evtl dem Irrglauben aufgesessen sind, dass Paul Pott als Naturtalent seine Stimme erst bei dieser Show entdeckt hätte, ein Zitat aus Wiki:
"Paul Potts stammt aus einem einfachen Elternhaus und bildete seine Gesangstimme durch privat finanzierten Unterricht. Im Jahre 1999 nahm er an der britischen Talentshow My kind of Music teil und gewann £ 8.000. Mit Hilfe dieses Gewinns nahm er in Nord-Italien Unterricht an Opernschulen unter Vilma Vernocchi und Katia Ricciarelli und wurde in die Meisterklasse aufgenommen. Für seine Ausbildung bezahlte er rund £ 12.000 (ca. € 18.000).
Zwischen den Jahren 1999 und 2003 trat er auf verschiedenen Bühnen als Tenor ohne Gage auf. Herauszuheben sind seine Auftritte an der Amateuroper Bath Opera im Jahre 2001 als Don Carlos in der Oper Don Carlos und als Radames in der Oper Aida, beide von Giuseppe Verdi. Seine Auftritte wurden zwar im Fernsehen und Radio veröffentlicht, führten jedoch nicht zu seinem Durchbruch."
Sicher, man braucht zum Singen, ganz gleich was, einfach auch Talent (schön wärs jedenfalls ;-) ). Aber der nicht unerhebliche "Rest" ist schlicht und einfach harte Arbeit und jahrelange Übung.
Mein Fazit:
Nett anzuschauen, aber leider emotional völlig überbewertet.
Grüße
Michael
ps: verurteilt mich jetzt nicht, nur weil ich an diesem "schönen" Ereignis, das anscheinend so vielen Leuten den Tag versüßt hat (kaufen die sich auch noch Jahre später seine CDs?), rumgekrittelt habe :flowers: