Olympia
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- 08. Sep. 2001
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Teil 2
Wäre das Strafverfahren gegen Daschner von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, es hätte künftig geheißen: Ein bisschen was geht immer, ein bisschen Folter ist erlaubt – weil sonst das Böse zu gut wegkommt. Und die Leute, die so tun, als sei der Rechtsstaat ein Waschlappen, hätten mit einem Mal die höheren Weihen gehabt.
Die absolute Geltung des Folterverbots wäre, bei einer Einstellung des Verfahrens gegen Daschner, künftig von vornherein durch eine strafrechtliche Entschuldigung relativiert gewesen. Die Perforation des Rechtsstaats hätte forthin als strafrechtlich gebilligt gegolten.
Perforation des Rechtsstaats? Wäre Daschners Kalkül aufgegangen, hätte er dann nicht als Held gegolten? Er wäre doch wohl, hätte er das entführte Kind mit seiner Folterdrohung retten können, befördert worden, womöglich hätte er das Bundesverdienstkreuz erhalten!
Ausstieg aus dem Rechtsstaat
Indes: Heldentum ist keine stabile Kategorie, schon gar keine juristische. Es gibt genügend Helden, deren Heldentum sich wenig später als Verbrechen dargestellt hat; Heldentum, das sich über Recht und Gesetz hinweg setzt, gehört dazu. Der Satz, dass Not kein Gebot kennt, ist kein rechtsstaatlicher Satz, und der Satz, "denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht", auch nicht.
Ein Daschner-Einstieg in die Folter wäre der Ausstieg aus dem Rechtsstaat. Und die Bundesrepublik könnte es sich künftig sparen, für die Einhaltung der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Europäischen Grundrechtecharta oder des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte zu werben.
Daschner und die Zustimmung, die er in der Bevölkerung geerntet hat, sind freilich, ebenso wie die Erfolge, die noch bei der letzten Hamburger Wahl einer wie Schill erzielen konnte, ein Indiz für grassierende Rechtsstaatsmüdigkeit.
Unter tatkräftiger Mithilfe des Bundesverfassungsgerichts hat sich zwar in Deutschland eine liberale Strafrechtsordnung entwickeln können. Doch viele ihrer Vorschriften schwimmen wie Schnittlauch auf einer Suppe von Vorurteilen, sind in den Augen vieler bloßer Schnick-Schnack und Zierrat.
Die Wissenschaft vom Strafrecht hat sich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren im Elfenbeinturm versteckt, sie sieht sich offensichtlich nicht in der Lage, ihre Erkenntnisse, deren Frucht die rechtsstaatliche Strafrechtsordnung ist, der Öffentlichkeit zu vermitteln und für sie zu werben.
Wer aufgeklärte Kriminalpolitik will, muss aber Aufklärung betreiben. Wer souverän rechtsstaatliche Strafrechtspolitik betreiben will, muss den Souverän, also das Volk, überzeugen. Die Theorie und die Praxis des Strafens muss die Auseinandersetzung auch mit vermeintlich naiven Fragen, Vorwürfen und Forderungen der Öffentlichkeit aushalten.
Zur Aufklärung gehört Vorbeugung
Aufklärung ist kein abgeschlossener, sondern ein andauernder Prozess, und sie ist bitter notwendig, so lange es leichter zu sein scheint, die Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532 wieder einzuführen, als den Leuten das liberale Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 1977 verständlich zu machen.
Zur Aufklärung gehört Vorbeugung: Die Bundesregierung zögert leider, das neue Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen zu unterzeichnen.
Dieses Zusatzprotokoll, das am 18. Dezember 2002 von der UN-Vollversammlung angenommen wurde, versucht, durch nationale Präventionsmechanismen den Schutz vor Folter zu verbessern.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte beklagt zu Recht, dass es bisher in Deutschland weder auf Bundes- noch auf Landesebene unabhängige Einrichtungen gibt, "die menschenrechtssensible Bereiche umfassend und effektiv überwachen".
Bei der Polizei und beim Bundesgrenzschutz fehlen innerstaatliche unabhängige Kontrolleinrichtungen komplett, ebenso in Pflegeheimen und in geschlossenen Anstalten zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen.
Will Deutschland nun über die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur UN-Anti-Folter-Konvention wieder schändliche sechs Jahre lang debattieren wie seinerzeit über die Annahme der Anti-Folter-Konvention selbst? Damals fürchtete man, Flüchtlinge könnten die Konvention zur Erlangung eines Bleiberechts in Deutschland ausnutzen.
Die Strafjustiz kommt immer erst hinterher – nach der Tat, nach dem Verstoß; trotzdem wird das Urteil des Gerichts über den Polizeivizepräsidenten Daschner präventive Kraft haben.
Sicherlich handelt es sich um zwei Ebenen: Die Frage nach der Zulässigkeit polizeilicher Folter als staatliche Maßnahme gehört zu der einen Ebene, die nach der strafrechtlichen Beurteilung des Menschen Daschner zur anderen. Aber das Strafgericht wird das Folter-Verbot nicht so hoch hängen dürfen, dass die polizeiliche Praxis künftig bequem unten durch laufen kann.
http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/317/27290
Olympia
Wäre das Strafverfahren gegen Daschner von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, es hätte künftig geheißen: Ein bisschen was geht immer, ein bisschen Folter ist erlaubt – weil sonst das Böse zu gut wegkommt. Und die Leute, die so tun, als sei der Rechtsstaat ein Waschlappen, hätten mit einem Mal die höheren Weihen gehabt.
Die absolute Geltung des Folterverbots wäre, bei einer Einstellung des Verfahrens gegen Daschner, künftig von vornherein durch eine strafrechtliche Entschuldigung relativiert gewesen. Die Perforation des Rechtsstaats hätte forthin als strafrechtlich gebilligt gegolten.
Perforation des Rechtsstaats? Wäre Daschners Kalkül aufgegangen, hätte er dann nicht als Held gegolten? Er wäre doch wohl, hätte er das entführte Kind mit seiner Folterdrohung retten können, befördert worden, womöglich hätte er das Bundesverdienstkreuz erhalten!
Ausstieg aus dem Rechtsstaat
Indes: Heldentum ist keine stabile Kategorie, schon gar keine juristische. Es gibt genügend Helden, deren Heldentum sich wenig später als Verbrechen dargestellt hat; Heldentum, das sich über Recht und Gesetz hinweg setzt, gehört dazu. Der Satz, dass Not kein Gebot kennt, ist kein rechtsstaatlicher Satz, und der Satz, "denn wer kämpft für das Recht, der hat immer recht", auch nicht.
Ein Daschner-Einstieg in die Folter wäre der Ausstieg aus dem Rechtsstaat. Und die Bundesrepublik könnte es sich künftig sparen, für die Einhaltung der Anti-Folter-Konvention der Vereinten Nationen, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Europäischen Grundrechtecharta oder des Internationalen Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte zu werben.
Daschner und die Zustimmung, die er in der Bevölkerung geerntet hat, sind freilich, ebenso wie die Erfolge, die noch bei der letzten Hamburger Wahl einer wie Schill erzielen konnte, ein Indiz für grassierende Rechtsstaatsmüdigkeit.
Unter tatkräftiger Mithilfe des Bundesverfassungsgerichts hat sich zwar in Deutschland eine liberale Strafrechtsordnung entwickeln können. Doch viele ihrer Vorschriften schwimmen wie Schnittlauch auf einer Suppe von Vorurteilen, sind in den Augen vieler bloßer Schnick-Schnack und Zierrat.
Die Wissenschaft vom Strafrecht hat sich in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren im Elfenbeinturm versteckt, sie sieht sich offensichtlich nicht in der Lage, ihre Erkenntnisse, deren Frucht die rechtsstaatliche Strafrechtsordnung ist, der Öffentlichkeit zu vermitteln und für sie zu werben.
Wer aufgeklärte Kriminalpolitik will, muss aber Aufklärung betreiben. Wer souverän rechtsstaatliche Strafrechtspolitik betreiben will, muss den Souverän, also das Volk, überzeugen. Die Theorie und die Praxis des Strafens muss die Auseinandersetzung auch mit vermeintlich naiven Fragen, Vorwürfen und Forderungen der Öffentlichkeit aushalten.
Zur Aufklärung gehört Vorbeugung
Aufklärung ist kein abgeschlossener, sondern ein andauernder Prozess, und sie ist bitter notwendig, so lange es leichter zu sein scheint, die Peinliche Halsgerichtsordnung von 1532 wieder einzuführen, als den Leuten das liberale Strafvollzugsgesetz aus dem Jahr 1977 verständlich zu machen.
Zur Aufklärung gehört Vorbeugung: Die Bundesregierung zögert leider, das neue Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen zu unterzeichnen.
Dieses Zusatzprotokoll, das am 18. Dezember 2002 von der UN-Vollversammlung angenommen wurde, versucht, durch nationale Präventionsmechanismen den Schutz vor Folter zu verbessern.
Das Deutsche Institut für Menschenrechte beklagt zu Recht, dass es bisher in Deutschland weder auf Bundes- noch auf Landesebene unabhängige Einrichtungen gibt, "die menschenrechtssensible Bereiche umfassend und effektiv überwachen".
Bei der Polizei und beim Bundesgrenzschutz fehlen innerstaatliche unabhängige Kontrolleinrichtungen komplett, ebenso in Pflegeheimen und in geschlossenen Anstalten zur Unterbringung von Kindern und Jugendlichen.
Will Deutschland nun über die Ratifizierung des Zusatzprotokolls zur UN-Anti-Folter-Konvention wieder schändliche sechs Jahre lang debattieren wie seinerzeit über die Annahme der Anti-Folter-Konvention selbst? Damals fürchtete man, Flüchtlinge könnten die Konvention zur Erlangung eines Bleiberechts in Deutschland ausnutzen.
Die Strafjustiz kommt immer erst hinterher – nach der Tat, nach dem Verstoß; trotzdem wird das Urteil des Gerichts über den Polizeivizepräsidenten Daschner präventive Kraft haben.
Sicherlich handelt es sich um zwei Ebenen: Die Frage nach der Zulässigkeit polizeilicher Folter als staatliche Maßnahme gehört zu der einen Ebene, die nach der strafrechtlichen Beurteilung des Menschen Daschner zur anderen. Aber das Strafgericht wird das Folter-Verbot nicht so hoch hängen dürfen, dass die polizeiliche Praxis künftig bequem unten durch laufen kann.
http://www.sueddeutsche.de/deutschland/artikel/317/27290
Olympia