Das potentielle, nicht unbedingt das tatsächliche Interesse ist ausschlaggebend
Ich möchte von den pastellfarbenen Briefumschlägen mal wieder auf den Ausgangspunkt dieses Threads - nämlich die Frage von Mantelmann und die erste Antwort von m0f und die in meinen Augen sehr gute Replik von Chri$ - zurückkommen:
Die reine Annahme, dass seitens des Empfängers Interesse besteht, reicht nicht aus, um unaufgeforderte Werbung schicken zu dürfen. Es muss ein konkreter Verdacht auf Interesse bestehen, der zweifelsfrei (mittels Gesuch auf XING oder eindeutigem Vermerk auf der Internetseite) nachweisbar ist.
Ein Domainhändler argumentierte gegenüber dem von uns beauftragtem Anwalt mal mit "Aber das Unternehmen besitzt die Domain xyz.de, dann besteht doch der berechtigte Verdacht, dass das Unternehmen auch Interesse an der Domain xyz.com haben könnte". Eben nicht. Wenn ich Interesse an einem konkreten Angebot habe (wie einer eindeutigen Domain), dann kann ich das kund tun, in dem ich die Seite besuche und den Inhaber kontaktiere.
Sorry, aber das sehe ich sehr anders. Man darf den Begriff "unverlangt zugesandte E-Mail" nicht zu eng auslegen, denn unter diesen Begriff fiele dann genaugenommen fast jede E-Mail. Oder wo hast Du schon jemals die Zusendung einer E-Mail "verlangt"? Deine Ansicht würde quasi auf ein Verbot jeglicher E-Mail-Kontaktaufnahme hinauslaufen, und selbst bei Dir persönlich bekannten Personen würdest Du Gefahr laufen, dass sie eine bestimmte Mail von Dir als "unverlangt" empfinden. Gerade im B2B-Bereich ist es aber ganz normal, gezielte(!) Anfragen zur Geschäftsanbahnung zu versenden; deshalb sind hier die Abwehrrechte auch nicht so weitgehend wie bei Werbung gegenüber Verbrauchern.
Selbstverständlich sollten die Angebote nicht mittels automatisierten Massen-E-Mails verbreitet werden, die ohne jeglichen Bezug zum Empfänger sind. Wenig Gefahr sehe ich hingegen, wenn man nachweisen kann, dass zum einen der Mailempfänger individuell recherchiert worden ist (erkennbar z.B. an einer persönlichen Anrede) und zum anderen ein nachvollziehbarer Grund für die Vermutung besteht, dass das beworbene Angebot für den Angeschriebenen
potentiell interessant sein könnte. Das ist der "hinreichend konkrete Verdacht", den Du ja auch zitierst. Ob es
tatsächlich für diesen einen Empfänger von Interesse gewesen ist, spielt dabei keine Rolle.
Hier ein paar Beispiele, um den Unterschied deutlicher zu machen: Werbung für einen neuen Bürobedarfs-Shop wäre nach diesem Kriterium zu ungezielt, selbst wenn unterstellt werden kann, dass jeder Unternehmer ein potentieller Kunde wäre - doch warum sollte er ausgerechnet an diesem einen Bürobedarfsshop interessiert sein? Das wäre sicherlich schwer nachweisbar. Wenn man aber den Inhaber einer .de-Domain auf den Verkauf der dazugehörigen .com-Domain hinweist, sehe ich hier grundsätzlich kein Problem, weil empirisch nachweisbar ist, dass ein Teil der .de-Domaininhaber am Angebot der betreffenden .com-Domain sehr wohl interessiert ist. Auch ich gehöre zu den Domainern, die schon mehrfach in solchen Fällen zu Käufern geworden sind. Und ich bin sicher: Würden wir hier im Forum eine Umfrage starten, gäbe es bestimmt noch viele weitere Domainer, die ein generelles Interesse an solchen Angeboten bekunden würden. Ich wäre sogar bereit, jedem, der eine solche Abmahnung bekommen hat, als (ehemaliger) Domainsachverständiger zu bestätigen, dass ein zumindest potentielles Interesse an derartigen Angeboten unterstellt werden kann.
Allerdings ist hier immer auf den konkreten Einzelfall abzustellen; einen generellen "Blankoscheck" gibt es nicht! So sähe die Sache zum Beispiel völlig anders aus, wenn nicht die entsprechende .com, sondern die .asia-Variante zum Kauf angeboten worden wäre; denn hier hätte der Verkäufer die Minderwertigkeit seines Angebots von vorneherein erkennen müssen.
Oder betrachten wir einen nochmals anderen Fall: In einem engen Markt mit nur wenigen dutzend Marktteilnehmern dürfte eine .de-Domain oder .com-Domain, welche eines der Hauptprodukte des Unternehmens bezeichnet, mit einer gewissen plausiblen Wahrscheinlichkeit auf Interesse stoßen. Dies gilt um so mehr, wenn das angeschriebene Unternehmen z.B. Adwords-Anzeigen für dieses Keyword geschaltet hat, weil es hiermit zum Ausdruck bringt, dass es an einem effektiven Online-Marketing hinsichtlich dieses Produkts interessiert ist. Würde der in diesem Absatz beschriebene Einzelfall tatsächlich mal vor Gericht verhandelt werden, bin ich sehr optimistisch, dass die Abmahnung keinen Bestand haben würde.
Davon abgesehen schreibe ich mittlerweile kaum noch Unternehmen per E-Mail an, weil ich den Aufwand als zu hoch empfinde. Davor waren es in der Summe vielleicht ein paar tausend E-Mails, die ich im Laufe der Jahre verschickt habe. Ein einziges Mal bin ich abgemahnt worden und sollte 370 Euro an Anwaltskosten bezahlen, aber nach einem längeren Briefwechsel mit dem Abmahnanwalt ließ dieser die Sache im Sande verlaufen (obwohl er mir vorher noch vollmundig angekündigt hatte, dass wir uns vor Gericht wiedersehen würden... das war anscheinend eine reine Einschüchterungsgeste).
Viele Grüße
Björn