Wenn man sich mal die ursprüngliche Idee der Katalogisierung von (materiellen) Veröffentlichungen anschaut dann war die gar nicht schlecht und die Archive sind aus historischer Sicht heute für viele Zwecke unersetzbar.
Allerdings galten damals drei miteinander verknüpfte Bedingungen:
1. Publizieren (besonders in Buchform) war hinreichend aufwändig und teuer, um einen gewissen Standard der Inhalte und eine Begrenztheit der Angebotstitel zu garantieren
2. Die materielle Form der Medien garantierte eine gewisse zeitliche Stabilität der Inhalte, d.h. das archivierte Buch veraltet relativ langsam. Die dynamischsten archivierten Medien dürften wohl bisher (historisch durchaus interessante) Tageszeitungen gewesen sein
3. Die potenziell interessierte Zielgruppe war für die Masse der Publikationen gross genug, um später auch ein hinreichendes Interesse an den archivierten Beständen erwarten zu können, also der erwartete Nutzen für spätere Generationen liess die Kosten gerechtfertigt erscheinen
Keine dieser drei Prämissen lässt sich auf "neue Medien" übertragen. Das Publizieren kostet praktisch nichts, weder Geld noch Mühe. Das schafft Vielfalt, manchmal auch Beliebigkeit und oft jede Menge Müll.
Die digitale Form ist geradezu eine Einladung zur Dynamik, Inhalte in Blogs und Foren veralten oft in Minuten und sind danach vollkommen uninteressant, für mich wie auch für meine Kinder und Enkel. Ausserdem ist die Zielgruppe vieler Publikationen schon jetzt so klein (ich wette es gibt hunderttausende von Websites die ausser dem Autor noch nie jemand besucht hat), dass sich auch zukünftig garantiert kein Schwein dafür interessieren wird. Hier ist der Aufwand in der Breite gigantisch, der Nutzen jedoch praktisch gleich Null.
Zusätzlich werden selbst die wenigen heute für eine Archivierung wirklich interessanten Inhalte dadurch sehr wahrscheinlich unbrauchbar und uninteressant, dass man versucht sie aus dem Web in ein statisches Format zu zwingen. Was soll eine Website als PDF wert sein, wenn dabei alle dynamischen Elemente (Links?) erstarren? Überhaupt lassen sich viele Projekte gar nicht isoliert wie ein Buch mit in sich geschlossener Handlung betrachten, sondern entfalten ihren Eindruck und ihre Bedeutung erst durch die Eingebundenheit in das web. Die meisten xing-Profile sind für sich genommen zum Beispiel total irrelevant, lediglich die Verknüpfungen der Seiten miteinander enthalten die eigentliche Information. Selbst wenn man die Bringepflicht mit brachialen Bussgeldern durchsetzt wird hinterher niemand ein solches verkrüppeltes Archiv nutzen wollen.
Ich kann mir diese Regelungswut nur so erklären, dass die DNB genau wie die "bisherigen Lieferanten" der Archivprodukte (also die klassischen Medien) um ihren zukünftigen Status in einer sich drastisch ändernden medialen Welt besorgt sind. In der Tat denke ich, dass die Bedeutung der Archivierung mit dem Rückgang statischer Medien (Einstellung von Zeitschriftentiteln etc.) zurückgehen wird - und man sich dementsprechend darauf einstellen muss, damit auch selbst an Bedeutung zu verlieren. Das ist nunmal so und das kann man auch per Gesetz nicht ändern. Wahrscheinlich ist die Idee des Sammelns und Sortierens aber so typisch deutsch, dass niemand von den Entscheidern wirklich glauben kann dass es auch ohne geht...
Ich hätte absolut kein Problem damit, wenn die DNB in ihrer bisherigen Form mit geringen Anpassungen weiterarbeitet (also neben realen Büchern zum Beispiel die Archivierung von statischen und einer materiellen Ausgabe vergleichbaren eBooks ab einer gewissen "Auflage" übernimmt). Alles was darüber hinausgeht ist jedoch von vornherein zum Scheitern verurteilt und gegenüber den Erschaffern der Inhalte weder in Bezug auf den Aufwand noch auf die angedrohten Strafen zu rechtfertigen. Ein solches "Archiv" nutzt allein dem Statuserhalt der DNB, sonst niemandem. Mir tun nur die sicher netten Mitarbeiter leid die das jetzt ausbaden müssen...
Wie auch immer, von mir gibt's jedenfalls nix.
Gruss,
Holger