Aus aktuellem Anlass (ich habe heute wesentliche Teile des neuen EU-Verfassungsvertrages gelesen) möchte ich dieser interessanten Diskussion mal noch einen nicht unwesentlichen Aspekt hinzufügen:
Wie einige sicher wissen findet am 12. Juni hier in Irland das EU-weit einzige Referendum über den besagten Vertrag statt. In keinem anderem Land wird das Volk nach der letzten Pleite mit der EU-Verfassung gefragt, nur hier. Das schien zunächst auch kein Problem zu sein, denn die Iren wissen im allgemeinen, wieviel sie der EU zu verdanken haben und sind zufrieden mit dem Erreichten.
Nachdem es über das gesamte vergangene Jahrzehnt in jeder Hinsicht super lief für Irland kommt nun aber die globale Finanzkrise langsam auch hier an, und viele beginnen sich Sorgen zu machen. Erste Jobs fallen weg, die Immobilienpreise beginnen erstmals seit mehr als 20 Jahren wieder zu sinken (für viele ein echter Schock) und zunehmend sucht man einen Schuldigen. Hier komme ich wieder zum Anfang: die EU-Gegner aus allen europäischen Staaten sind momentan auf der Insel versammelt um hier gegen eine Annahme des Vertrages zu trommeln, und das sind nicht wenige und die sind auch nicht zimperlich. Wie gesagt: stimmt das kleine irische Volk nicht mehrheitlich dafür, dann stirbt das Projekt für ganz Europa. Darum werden hier nun alle Register gezogen, um "die EU" in ein fragwürdiges Licht zu rücken. "Die EU" meint hier explizit nicht die 500 Millionen Europäer, sondern gezielt die "Regierung" in Brüssel.
Ein Beispiel für eine solche Kampagne:
In Irland hat jedes Haus einen Kamin, oft mehrere. Seit Jahrhunderten vererben viele Familien lange überlieferte Abbaurechte für Torf von Generation zu Generation. Der wird dann im ganz kleinen Massstab gestochen (nix kommerziell, sondern mit Spaten und Schubkarre) und im Winter im heimischen Kamin verfeuert. Das Zeug heizt auch nicht wirklich, geht nur um die Nostalgie.
Nun hat neulich jemand sehr geschickt die Meldung verbreitet, "die EU" habe das Torfstechen ab dieser Saison aufgrund einer Umweltrichtlinie, welche Irland umsetzen musste, untersagt, wer das jetzt noch tue begehe eine Straftat. Die Meldung war völliger Unsinn. Das Verbot gibt es zwar tatsächlich, es gilt aber nur für eine besonders geschützte Art von Hochmooren, von denen in ganz Irland nur zwei existieren und in denen ohnehin kein Abbau stattfindet. Dennoch war der Aufschrei enorm: Was fällt denen ein, das machen wir schon immer so, die sollen sich ihre Gesetze sonstwohin stecken etc...
Weitere Konfliktfelder sind die Landwirtschaft mit Quoten und sinkenden Subventionen, die (der EU zu niedrigen irischen) Steuern und die Fischereirechte. Man erinnere sich, dass Grönland genau deswegen tatsächlich 1985 aus der damaligen EG ausgetreten ist. Das wird mit Irland zwar sicher nicht passieren, aber die Stimmung kippt möglicherweise dennoch in eine unschöne Richtung.
Das Ziel dieser und anderer Falsch- und "nicht-ganz-richtig"-Meldungen ist klar und es wurde zweifellos erreicht, die EU hat bei vielen an Popularität eingebüsst. Teils aufgrund von gesteuerter Propaganda, teils weil die Leute selber einen Schuldigen für den aktuellen Abschwung suchen und vielleicht auch weil einige Regelungen wirklich überflüssig sind.
Lange Rede, kurzer Sinn: Wenn man im Moment in Irland kein Risiko eingehen möchte, für Fehler und/oder Propaganda Dritter in Sippenhaft genommen zu werden, dann sollte man tunlichst auf eine .eu-Domain verzichten. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Onlinegeschäft, welches sich mehrheitlich an Bauern oder Fischer richtet in der gegenwärtigen Stimmung allein aufgrund der Endung keine Überlebenschance hätte. Traurig, aber wahr.
Gruss,
Holger
Eiszeit in der Europäischen Union - DIE WELT - WELT ONLINE