Wow, was für eine Diskussion. Auch unter alten Bekannten wird öffentlich Klartext geredet - genau das ist der Grund warum Consultdomain absolut einmalig und unverzichtbar ist als Instanz im Domainbusiness...
Mein Standpunkt zum Thema:
Zunächst ist ganz klar, dass beide Arten von Manipulation ("shill bidding" und "collusion") durch Verfälschen des Auktionsergebnisses jeweils für eine der Parteien von Nachteil sind. Beim "shill bidding" (aka pushen) ist es die Käuferseite, die ggf. zu einem höheren Gebot genötigt wird, bei der "collusion" (konzertierte Gebotszurückhaltung) sind es der Anbieter der Ware und/oder der Auktionator, der nicht den wahren Marktpreis der Ware erzielt. Nett ist also beides nicht und einer ist offenbar immer der Dumme.
Aber ganz so einfach ist es dann doch wieder nicht.
Das "shill bidding" dient - hinreichend kriminelle Energie vorausgesetzt - einzig dazu, durch Anwendung eines Tricks einen Preis zu erzielen, welcher über dem liegt, den die Marktteilnehmer ohne diesen Trick von sich aus bezahlen würden.
Ausser dem manipulierenden Anbieter hat niemand was davon, und würde dieser den Trick nicht anwenden wäre er auch der einzige der dadurch einen Nachteil (= aus Marktsicht fairer, aber für ihn ggf. eben geringerer Preis) erleiden würde.
Das Verhalten ist also egoistisch und gerade darum auch zurecht sozial nicht akzeptiert. (Kleine Anekdote am Rande: gerade diese Woche wurden hier einige Immobilienmakler geschlachtet, weil sie sich von Banken Vermögensdetails potenzieller Hauskäufer besorgt hatten und mit diesem Wissen und vorgetäuschten weiteren Geboten die Interessenten genau bis an die Grenze ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gepusht haben. Die öffentliche Reaktion war beeindruckend).
Aber wie sind im Vergleich dazu Absprachen einzuordnen eben gerade NICHT zu bieten?
Als Interessent an einer begrenzt verfügbaren Ware bin ich ständig mit der Notwendigkeit konfrontiert hier Entscheidungen zu treffen, weil ja Angebot und Nachfrage doch nicht selten den Preis entscheidend beeinflussen.
Beispiel: Ich weiss, das viele Leute im Herbst ihr Heizöl bestellen und dass die Nachfrage global betrachtet sehr stark den Preis bestimmt. Nun könnte ich mir sagen, ich gönne dem Ölkonzern den Profit und kaufe mein Heizöl auch erst dann wenn die Nächte kälter werden und ich es brauche. Natürlich bin ich dann nicht der einzige Interessent und dementsprechend muss ich eben mehr bezahlen. Oder ich entschliesse mich dazu, eben nicht dann zu kaufen wenn es alle tun sondern schon im Sommer und sage das auch meinem Nachbarn, der vielleicht jetzt sogar mit mir zusammen bestellt. Der Anbieter verdient nun weniger und wir haben Geld gespart. Moralisch verwerflich?
Anderes Beispiel: Aktienmarkt. Jemand bietet Aktien der Firma abc zum Kauf an. Je mehr Käufer sich darum reissen, umso mehr wird der Vorbesitzer verdienen. Nun kommt aber ein Analyst und sagt: Moment mal, die Aktie ist zu teuer. Kauft jetzt nicht Leute, sondern wartet noch oder kauft lieber die Aktien von Firma xyz. Der Anbieter ist offenbar geschädigt, denn ohne Absprache hätte es viel mehr Käufer gegeben und er hätte mehr bekommen. Wurde er betrogen?
Die Beurteilung von collusion ist rechtlich und moralisch m.E. viel schwieriger als beim shill bidding, und vielleicht erklärt das ja auch die Auseinandersetzung hier im Forum. Und es geht sogar noch weiter:
In der Spieltheorie gibt es das Konzept der "tacit collusion", bei der es zu abgestimmtem Verhalten ganz ohne Absprache der Parteien kommt. Ich weiss - um beim Ausgangspunkt zu bleiben - nach einigen Jahren Domainauktionen, dass es bestimmte Interessenten für ganz bestimmte Domainkategorien gibt bei denen es für mich einfach keinen Sinn machen würde mitzubieten. Dadurch entsteht für mich kein Schaden und für den anderen Bieter ein Nutzen, weil er jetzt nicht so hoch bieten muss wie er es sonst getan hätte. Die Domain hätte ich aber so oder so auf keinen Fall zu dem Preis bekommen den ich zu zahlen bereit gewesen wäre. Nun gibt es andere Auktionen mit Domains die ich ganz gern mitnehme und Konkurrenten auch mal energisch überbiete. Wer das einige Male gesehen hat und von mir bei anderen Auktionen in Ruhe gelassen wurde der verhält sich nun vielleicht auch entsprechend, wohlgemerkt OHNE jede Absprache. Klar, der Auktionsanbieter verdient weniger, aber ist das Verhalten nicht trotzdem wirtschaftlich vernünftig und moralisch vertretbar? Falls die Antwort nein sein sollte: Wie müsste denn dann ein moralisch sauberes Verhalten aussehen? Bei allen Auktionen um jeden Preis bis an die absolute Grenze gehen? Oder gar nicht mehr für Auktionen anmelden? Ich habe keine Ahnung...
Beim shill bidding muss ich mich zwischen zwei Varianten entscheiden, nämlich a) einem anderen (Käufer) Schaden zuzufügen (durch ein Gebot) oder b) keinem anderen Schaden zuzufügen (durch kein Gebot).
Bei der collusion ist das völlig anders. Hier muss ich mich entscheiden zwischen a) meinem Mitbieter Schaden zuzufügen (durch ein Gebot) oder b) dem Auktionator Schaden zuzufügen (durch kein Gebot). Es trifft also so oder so einen von beiden. Evolutionär vernünftig ist es aber m.E., wenn man demjenigen möglichst nicht schadet von dessen Kooperation man am ehesten selbst profitieren kann.
Und nicht zuletzt hilft auch die Natur bei der Einschätzung: Es gibt nämlich nicht wenige Beispiele für den evolutionären Erfolg von tacit collusion beim Kampf um Futter oder Fortpflanzung im Tierreich (Absprachen schliesse ich hier mal aus
), vom shill bidding ist mir hingegen kein solcher Fall bekannt...
Gruss,
Holger